Alsdorf. Seinen Kaffee trinkt Klaus-Peter Niessen immer schwarz. Dadurch hat die ganze Sammelei ja überhaupt erst angefangen. „Im Cafe blieben die Würfelzuckerpäckchen ungeöffnet neben der Tasse liegen, meist hab‘ ich sie dann eingesteckt.“ Das war Ende der 1970er Jahre. Damals landeten die bunt bedruckten Tütchen in einer großen Schüssel in der Küche. Bis diese Schüssel irgendwann voll war und seine Frau von ihm wissen wollte: „Und was machen wir jetzt mit dem Krempel?“
Diese Frage stand im Raum – und Niessen hatte nur die eine Antwort: „Bloß nicht wegwerfen!“ Das war der Moment, in dem er erkannte: Ich bin ein Zuckersammler! Das ist schon recht speziell, das ist ihm klar. Schallplattensammler gibt es bekanntlich zuhauf, doch die Zuckerfans sind rar gesät. Wobei: so rar nun auch wieder nicht.
Immerhin gibt es in Deutschand gleich zwei Vereine – und in beiden ist Klaus-Peter Niessen Mitglied. Zusammen mit jeweils rund 150 Gleichgesinnten, doch die Mitgliedschaften überschneiden sich. „Wir kennen uns untereinander natürlich fast alle“, sagt der heute 73-Jährige, der es im Lauf der Jahrzehnte weit, weit über die Kapazität der Schüssel von einst hinaus gebracht hat.
Ein hübsches Gewicht
Es blieb auch nicht bei Würfelzuckerpäckchen. Zuckertütchen und Zuckersticks. Zuckerpäckchen und Zuckerhüte – Niessen sammelt einfach alles, was in Papierchen nett verpackt und hübsch verziert ist. Eben alles, was – man verzeihe das Wortspiel – süß aussieht.
Anfangs noch samt Inhalt, doch schon bald begann er damit, die Tütchen ganz vorsichtig aufzutrennen und deren Inhalt herausrieseln zu lassen. Geht auf Dauer gar nicht anders. Ein Tütchen wiegt etwa fünf bis zehn Gramm, da kommt schon bei ein paar hundert Stück ein hübsches Gewicht zusammen. Und Niessen hat davon mehr als 200.000! Ganz genau kann er die Zahl selbst nicht benennen, aber Ordnung, die hält er.
Ein kompletter Raum unterm Dach ist sein süßes Reich. „Mein Zuckerzimmer“, wie er sagt. Links an der Wand ein großes Regal, vollgestellt mit Aktenordnern, in denen die entleerten Tütchen in Klarsichthüllen stecken. Geordnet nach Ländern, nach Themen, nach Fluggesellschaften, letztere sind übrigens sein bevorzugtes Sammelgebiet.
„Wenn ich zu einem Tauschtag fahre, komme ich mit einer vollen Reisetasche zurück.“
Wann immer Freunde und Bekannte Flieger in ferne Länder besteigen, bittet er sie, ihm die an Bord verteilten Zuckertütchen mitzubringen. Solche Souvenirs kann er mittlerweile sogar von einer nordkoreanischen Fluggesellschaft vorweisen. Nicht alles wird ihm persönlich ausgehändigt, vieles findet sich im Internet und bei Tauschbörsen, die er zwei Mal pro Jahr besucht.
Einen Vorteil hat das Hobby: teuer ist es nicht. Selbst seltene Tütchen kosten kaum mehr als ein, zwei Euro, wenn er sie online ersteigert. Im Vergleich zu Briefmarken sind es echte Schnäppchen. Doch meist wird ohnehin getauscht. „Wenn ich zu einem Tauschtag fahre, komme ich mit einer vollen Reisetasche zurück.“ Dann wartet wieder Arbeit im Zuckerzimmer: Verpackungen entleeren, katalogisieren, bewundern. „Früher war das für mich die pure Entspannung nach der Arbeit. Wenn ich abends für eine halbe Stunde in mein Zuckerzimmer rauf bin, wusste meine Frau: Der braucht das!“
Unerschöpfliches Sammelgebiet
Was bei Klaus-Peter Niessen nicht in Ordnern landet, findet sich in Vitrinen und auf Regalbrettern. Exotisch verpackte Zuckerfiguren und sogar Zuckerlaster aus Plastik – das Sammelgebiet ist schier unerschöpflich. „Pro Tag kommen auf der ganzen Welt zig Tütchen mit neuen Motiven auf den Markt“, schätzt Klaus-Peter Niessen. Klar, dass man die niemals alle haben kann. Aber immer, wenn er eine komplette Serie beisammen hat, ist das Erfolgsgefühl groß.
„In Deutschland sind Serien leider nicht so verbreitet, in Italien, Frankreich oder Südamerika schon.“ Berühmte Persönlichkeiten, Comiczeichnungen, Sportereignisse – alles findet sich als Motiv, Niessen genießt diese kunstvoll gestalteten Zeichnungen. Im Winter allerdings häufiger als im Sommer. „Im großen Garten wartet auch immer viel Arbeit“, sagt er, der sich deshalb mitunter über Regen freut. „Dann kann ich zu meiner Frau sagen: Schatz, ich geh‘ mal wieder nach oben …“
Von Stefan Schaum, Aachener Nachrichten vom 9. August 2017