Zuckerstückchen: Jäger und Sammler

Eine Frage des Zeitgeistes

Jäger und Sammler gibt es schon, seitdem es Menschen gibt. Die alten Chinesen sammelten Papyri, Mönche sammelten Bibelschriften. Heutzutage müssen es nicht gleich Antiquitäten sein.

Zum Beispiel die Idee, Zuckerwürfel zu sammeln. Gerade in den letzten Jahren hat sie viele Menschen begeistert, spiegeln diese süßen Würfel in ihrer Umhüllung doch den Zeitgeist unserer Tage wieder.

Schon vor dem Zweiten Weltkrieg boten Gastwirte ihren Gästen zum Kaffee auch persönliche Botschaften per Zuckerstückchen an mit Aufschriften wie: „Bitte fahren Sie vorsichtig, ich kann es mir nicht leisten, einen Gast zu verlieren.“ Schon wenige originelle Zuckerwürfel wie diese können eine Sammelleidenschaft auslösen, zumal es sich hier noch um eine der wenigen preiswerten Sammeldomänen handelt – Zucker gibt es zum Kaffee gratis. Und wo gesammelt wird, da gibt es bald Vereine und Gemeinschaften Gleichgesinnter. Dort kann man Fachspezifisches in Sachen Zucker erfahren, dort trifft man dann auch die Person, die eine Rarität besitzt, die man schon immer haben wollte. Man tauscht den Würfel aus dem Lokal „Zur zornigen Ameise“ gegen den vom „Ende der Welt“. Beliebt sind hier auch die Zuckerstückchen mit Sternzeichen, Zitaten und nicht zuletzt die mit den Original-Logos von Waschmitteln und Seife. Auf den mehrmals im Jahr stattfindenden Tauschtagen kann man neue Kontakte knüpfen.

Was den Sammler am meisten ärgert, ist natürlich der Zuckerstreuer. Nicht seine hygienische Fragwürdigkeit ist das Problem, er ist fürwahr kein geeignetes Sammelobjekt. Es gibt Sammlungen von über 150000 Stückchen und Tütchen aus den Jahren von 1940 bis heute, die mit Werbebotschaften versehen sind.

Die heutzutage herausgegebenen Würfel der Zuckerhersteller werden jedoch erfreulicherweise auch nicht mehr nur so mit links gestaltet, sondern zum Beispiel in „modernart“ und „Graphiti“-Serien angeboten.

Wenn Sie das nächste Mal im Café sitzen, sollten Sie Ihr Augenmerk auf den Zuckerwürfel neben Ihrer Tasse richten – es könnte der Beginn einer wunderbaren Sammellust sein.

Aus: Rundschau für den Lebensmittelhandel, Nr. 11/94, Seite 130.