Seinem Steckenpferd Zucker geben …

Zuckerwürfel-Sammler verdanken der Gastronomie ein originelles Hobby

Ob man es Hobby, Steckenpferd, Passion oder auch Sammelleidenschaft nennt. Der Mensch von heute braucht eine Entspannung, einen inneren Ausgleich, der gleichzeitig auch etwas Freude und Erholung bringt. Und dafür eignet sich eben bestens eine Sammeltätigkeit. Unser heutiger Hobby-Bericht befasst sich einmal mit »süßen Sachen«: dem Sammeln von  Zuckerstücken  – das mit zu den originellsten Steckenpferden zählt. Übrigens verdanken diese Sammler ihre Schätze fast ausschließlich dem gastronomischen Gewerbe.

Philatelisten sind Briefmarkensammler, Phillumenisten die von Zündholzetiketten, für Sammler von Zuckerstückchen aber hat man bisher noch keinen so prägnanten Namen gefunden. Vielleicht liegt das daran, daß sie noch nicht so zahlreich und auch nicht so bekannt sind wie andere Hobbyfreunde. Doch das tut der »Gilde der Zuckersammler« keinen Abbruch, gehören ihr doch Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung an: Hausfrauen, Lehrer, Beamte, Direktoren, Akademiker verschiedener Richtungen, und natürlich auch zahlreiche Jugendliche.

Wer jedoch glaubt, nur Ansichtskarten-Sammler, Briefmarken-Sammler oder Etiketten-Sammler hätten nach Zehntausenden von Stücken zählende Sammlungen, der irrt. Eine Hamburger Fechtlehrerin hat eine Zuckerstücke-Sammlung von über 55000 verschiedenen Exemplaren aufzuweisen, während ein Holländer weit über 70000 Zuckerbanderolen sein eigen nennt. Diese beiden Sammlungen dürften mit zu den größten in der Welt zählen.

Sammlung löste sich im Kaffee auf

Dass eine umfangreiche Sammlung nicht von ungefähr kommt und Fleiß und Ausdauer erfordert, aber auch schnell wieder verlorengehen kann, beweist das Schicksal des wohl derzeitigen Seniors der Gilde der deutschen Zuckersammler, des 73-jährigen August Kellner aus dem schönen Goslar. Schon vor dem Krieg besaß er an die 10000 Zuckerstückchen. Daran erinnerten sich auch – als die Zuckerknappheit gegen Ende des Krieges am größten war – Bekannte und vor allem seine Nachbarn. Nun, Sammlerfreund Kellner ließ sich seinerzeit nach langem Zögern bewegen, seine geliebten süßen Schätze für die Milchflaschen der Säuglinge sowie für den »Muckefuck« der benachbarten Kaffeetanten schließlich doch herauszugeben, wenn auch sehr schweren Herzens.

Als nun nach den Notzeiten der Nachkriegsjahre die Sammeltätigkeit so langsam wieder auflebte, um schließlich heute in noch nie dagewesener Aktivität hohe Blüten zu treiben, da war Senior Kellner sehr traurig, denn viele seiner Zuckerstückchen aus damaliger Zeit sind heute Raritäten und nicht mehr zu bekommen, denn der Krieg hat zahlreiche Gaststätten und Cafés vernichtet. Er besitzt inzwischen wieder rund 7000 der begehrten Zuckerstückchen.

Andere Sammler sind in den damaligen Notzeiten standhaft geblieben und erfreuen sich heute ihrer Schätze. So haben ein Sammler aus Hamburg rund 30000 »Stücke«, zwei Hausfrauen aus München 25000 und 22000 verschiedene, eine Hausfrau aus Berlin 15000 und ein Dipl.-Ingenieur 12000 Zuckerstückchen aufzuweisen, die vielen Dubletten nicht eingerechnet.

Auch Tütchen werden gesammelt

Aber nicht nur Zuckerstückchen sind begehrtes Sammelgut. Vorwiegend in Italien, Holland und Amerika werden zum Kaffee auch Zuckertütchen gereicht. Und auch hiervon gibt es umfangreiche Sammlungen. Daneben bevorzugen zahlreiche Hobbyisten vorwiegend aus Platzmangel und der besseren Übersicht halber Zuckerbanderolen, auch Etiketten genannt. Diese werden dann nach Ländern, Städten oder auch nach Motiven getrennt auf DIN A 4-Blätter aufgeklebt und in Ordnern untergebracht. Überhaupt ist die Unterbringung einer in die Zehntausende gehenden Sammlung von Zuckerstücken ein Problem. Bevorzugt werden daher große, flache Kartons, in denen bis zu 400 Stücke Platz finden.

Auch einen Zusammenschluss gibt es in dieser Hobbysparte: den Stuttgarter Tauschring der Zuckersammler, wohl die einzige Hobby-Vereinigung dieser Art in Europa. Die Leitung hat Frau Jetty Tragau in Asperg/Württ., die selbst 20000 Zuckerstückchen ihr eigen nennt. Es ist klar, dass durch Zusammenschlüsse von Gleichgesinnten das Sammeln gefördert wird und neue Steckenpferdreiter hinzukommen. Mehrere Tauschtreffen der Zuckersammler in Stuttgart und München – die eigens für diesen Zweck teilweise sehr weit her angereist kamen – haben das vollauf bestätigt.

Einst in Böhmen »erfunden«

Wer weiß übrigens, dass es schon seit 1840 Würfelzucker gibt? Er soll in Datschitz im Böhmisch-Mährischen »erfunden« worden sein. In einer Konditorei goß man seinerzeit probeweise flüssige Raffinademasse in flache, tafelförmige Gefäße. Nach Erkalten und Trocknen wurden die Tafeln in kleine, würfelförmige Stücke zersägt. Das Experiment war gelungen, daher auch der Name Zuckerwürfel. Über Wien – Inbegriff der urgemütlichen Kaffeehäuser – fand der Würfelzucker bald danach rasche Verbreitung über ganz Europa und schließlich in großen Teilen der Welt. Erst nach der Jahrhundertwende erfolgte aus hygienischen Gründen die Verpackung des Zuckers mit Hilfe von Banderolen. Heute, nach über 120 Jahren, gehört er einfach zu einer Tasse Kaffee oder Tee mit dazu, wenn auch vereinzelte Betriebe dazu übergegangen sind, statt Würfelzucker losen Zucker in Streudosen zu verabreichen.

Wie schon erwähnt, verdanken die Zuckersammler ihr Hobby fast ausschließlich der Gastronomie. Das hat auf der anderen Seite aber auch dem Gastgewerbe und den Cafés die Möglichkeit der Eigenwerbung gegeben. Originell und oft auch sehr lustig, dann wieder recht seriös wirkt eine Motivsammlung auf den Betrachter. Eine kleine Auswahl mag das veranschaulichen: »Café Goethe«, »Café Schiller«, »Café Mozart«, »Café Schubert« und zahlreiche weitere mit berühmten Dichter- und Komponistennamen geben hiervon Zeugnis.

Aber auch die Zuckerstücke der Casinos, die es in fast allen Bundesministerien in Bonn gibt, und natürlich auch von zahlreichen Spielbanken, sind in den einschlägigen Kreisen begehrte Sammelobjekte. Ferner haben die Zuckerfabrikanten auch Serien herausgebracht, zum Beispiel sind die zwölf Tierkreiszeichen gleich auf 21 Serien in verschiedenen Arten und Farbunterschieden herausgekommen.

Begehrte Kuriositäten und Raritäten

Besonders begehrt sind Kuriositäten in der Namensgebung: »Café Steuerdieb« in Hannover, Restaurant »08/15« in Frankfurt a. M., historische Gaststätte »Der Alte Fritz« in Berlin-Tegel, »Dick und Doof« in Berlin, Gasthof »Zur Filzlaus« in Niederfüllbach, Gasthaus »Geschwollenes Herz« in Bingen, »Spatzennest« in Ulm, »Astronautenkeller« in Hamburg, »U 2« in Stuttgart und Hunderte anderer, die aus Platzmangel hier nicht genannt werden können. Den Vogel aber in dieser Aufzählung dürfte das Hotel und Restaurant »Menschenhaus« bei Neunkirchen/Saar abschießen.

Nicht nur bei Briefmarken und Etiketten gibt es Fehldrucke. So existiert unter anderem ein Zuckerwürfel mit der Aufschrift: Vailringen/Enz. Das ist natürlich ein Irrtum, denn einen Ort dieses Namens gibt es nicht. Es muss hier richtig heißen: Vaihingen/Enz. Abarten in dieser Form kommen häufiger vor, als man glaubt; sie sind in Sammlerkreisen besonders willkommen.

Ob nun Hotels, Restaurants, Cafés, Casinos oder noch andere gastgewerbliche Betriebe, fast alle haben den Werbewert auf Zuckerpackungen erkannt und daher außer der Namensgebung oft noch grafische Darstellungen ihrer Häuser darauf drucken lassen.

Häufig kann man jedenfalls beobachten, dass Gäste zum Kaffee auf Würfelzucker verzichten und ihn mitnehmen; das sind dann meistens entweder selber Sammler oder sie geben ihn an solche weiter. Teilweise geht die Sammelleidenschaft auch so weit, dass Hobbyfreunde ein Restaurant oder Café mit einem originellen Namen nur aufsuchen, um hier unbedingt einige Zuckerstücke für ihre Sammlungen zu ergattern.

Menschen, die Zuckerstücke sammeln, tun dies nur aus Liebhaberei und Freude an den kleinen »süßen Sachen«. Sie wissen genau, dass ihr Hobby keinerlei Bewertung erfährt, wie das etwa bei Briefmarken der Fall ist. Sie tauschen ihre Stücke im Verhältnis von 1:1 und sind zufrieden. Es sind sozusagen die Amateure unter den Sammlern.

Hermann Thiede

Aus: „Die deutsche Gaststätte – Deutsche Hotelzeitung“, Weihnachten/Silvester 1963, Seite 28.